Wie alles begann...

..wie Erfahrungen unsere Welt verändern…

Dies ist die Geschichte meiner Beziehung zu Pferden. Zugleich ist es auch eine Hommage an Shannon, ein Pferd, das mich alles gelehrt hat. 


Pferde sollten so geritten werden, wie ein Surfer eine Welle reitet.
Der Surfer zwingt die Welle nicht, er will sie nicht verändern.
Er lernt einfach, wie er sie reiten kann.



Reitanfänge 



Ich wollte schon immer reiten. Pferde bedeuten für mich ein Stück Freiheit, Wildheit, einfach pures Leben. Wie viele kleine Mädchen träumte ich immer vom eigenen Pony. Später vom „wilden, mutigen Hengst, der nur mich mag“. Nach etwas Voltigierzeit durfte ich dann endlich Reitstunden nehmen. Schlechte Reitschule, vieles lief über die Hand, man „lenkte“ halt. Ich stellte damals aber nichts infrage, war glücklich, reiten zu können. Stall gewechselt, der war besser, aber trotzdem fehlte irgendwas. Geritten wurde immer nur auf dem Platz. Ich war jetzt für mein Alter und meine „Reitzeit“ (einmal die Woche eine Stunde reiten) nicht übermäßig begabt, aber auch nicht schlecht. Mir fehlte das Energische, was meiner Schwester immer bei den abgestumpften Schulpferden geholfen hatte.
Das war also das tolle Reiten? Immer ein anderes Pferd, das täglich von mehreren Reitern geritten wurde. Es funktionierte halt – oder auch mal nicht. Keine Bindung, nichts.
Mit zwölf Jahren zog ich nach Spanien. Dort gab es wieder Reitunterricht. Wenigstens hatte ich hier meistens denselben Andalusierwallach. Ein wundervolles Pferd. Er biss, trat und hatte meist keine Lust – ich liebte ihn.
Denn er wagte es, sich gegen die Ausnutzung zu wehren. Er hatte sich nicht aufgegeben!
 Aber ich war eben auch nur einmal die Woche da und auf den armen Kerl wurde auch jeder Vollidiot gesetzt. Trense draufkriegen war der reinste Krampf, er hielt den Kopf in die Luft, sodass ich mich halb an den Hals hängen musste, um ihn wieder runter zu bekommen. Sobald Sattel und Trense weggebracht waren, sah er einen nicht mal mehr mit dem Arsch an.





Ein schwieriger Start

Als es dann hieß, die Frau eines Arbeitskollegen meines Vaters suche jemanden, der sich die „Arbeit“ mit ihrem Pferd teilt, waren meine Schwester und ich natürlich sofort hellauf begeistert. Shannon wurde mit dem Transporter nach Spanien gebracht. Dabei ist einiges schiefgelaufen. Sie hatte eine Verletzung am Desweiteren lebte sie sich eher schlecht als recht ein, kam mit den Pferden in des Hofes (viele Hengste) überhaupt nicht klar und war allgemein ein hypernervöses Tierchen. Das Reiten war ein Albtraum. Im Trab rannte sie einem davon, im Galopp ging sie durch. Wenn man Glück hatte, entschied sie sich beim Schritt zum Grasen. Ich war zutiefst traurig. Aber, wieso sollte sie mir auch Vertrauen entgegenbringen? Ich war ein junges, unerfahrenes Mädchen. Ein Nichts. 
Meine Schwester verlor relativ schnell die Motivation. So toll der Traum auch war, ein Pferd „wie das Eigene“ behandeln zu dürfen, es zu pflegen, zu reiten, wie man wollte, … so machte es einfach keinen Spaß, wenn man ständig um den eigenen Hals fürchten musste. Meine Schwester hörte auf. Ich machte weiter. Aber ich hatte Angst vor ihr. Wir befanden uns in einem – in Nachhinein finde ich- ziemlich gefährlichen Teufelskreis. Lange hätte es so nicht weitergehen können. Sie war kein Traumpferd, sondern eine Gefahr für mich und sich selbst.


Veränderungen




Shannon war ein ziemlich selbstzerstörerisches Pferdchen. So schaffte sie es, so gegen die Box zu treten, dass ihr eines Hinterbein verletzt wurde, anschwoll und sie für die nächsten Wochen unreitbar wurde. Ein Glück, wenn man denkt, was es uns brachte.
Ihre Besitzerin wollte für zwei Wochen in den Urlaub fahren und bat mich, jeden Tag zu Shannon zu kommen, denn die Kleine durfte zwar nicht geritten werden, sollte aber im Schritt trotzdem bewegt werden. Ich nahm sie also am Strick mit nach draußen und wir gingen spazieren. Ein total ruhiges Fortbewegen. Der Stress des Reitens fiel weg und ich kam plötzlich richtig gerne zu ihr. Der Strick wurde gegen eine Longe getauscht. Die Longe immer länger, immer lockerer gelassen. Sie graste, ich ging weiter, sie folgte, graste wieder ein wenig, lief mir nach, etc. Manchmal legte ich mich einfach auf ihren Rücken und tat gar nichts als mich durch ihr Grasen Schritt für Schritt fortzubewegen. Kein Lenken, eher ein „Mittragen“. Ich wollte, dass wir Freunde wurden. Ich meine, endlich hatte ich die Chance, ein „eigenes Pferd“ zu haben und dann lief so viel schief…
Also versuchte ich, mich vor ihr zu beweisen. Ich musste ihr zeigen, dass ich in der Lage war, Gefahren zu erkennen, auf sie aufzupassen, sie zu beschützen. Es waren ganz einfache Dinge. Ich musste nur aufmerksam sein. Aufmerksamer als sie. Denn der Anführer muss immer schneller denken als seine Gefolgschaft. Also machte ich für den Menschen gesehen seltsame Dinge. Wenn es irgendwo knisterte, war ich diejenige, die sich zuerst „erschreckte“, zur Seite sprang und Shannon zeigte, dass sie mir ganz schnell folgen musste, da ich wusste, wie man am besten vor der Gefahr flieht. Wenn uns jemand entgegen kam, den ich – aus Shannons Sicht- als „gruselig“ empfand, z.B. weil er auf einem Hengst saß, weil er Hunde dabei hatte, einen Stock in der Hand hielt oder sonstwas, dann führte ich sie frühzeitig in einem großen Bogen von der Gefahrenquelle weg. Ganz ruhig, aber bestimmend. Lauter so kleine Dinge, die ihr zeigten, dass ich am besten wusste, wie man ein möglichst ruhiges Leben führt. 
Nachdem ich anfänglich „überaus aktiv“ gewesen war, fing ich langsam an, mehr die Ruhe auszustrahlen. Nun gab es „erschreckende Geräusche“ bei denen ich nicht „floh“ und so wusste Shannon, dass auch sie nicht fliehen musste. Schließlich konnte sie meinem Urteilsvermögen nun ja trauen.



Spielen


Als es mit ihrem Bein bergauf ging, durfte sie sich wieder etwas mehr bewegen, aber eben noch nicht unterm Reiter. Ich ließ sie auf dem Platz frei laufen, ohne Halfter oder sonstwas. Dann stand sie aber meist nur da und tat gar nichts. Ich wollte sie aber dazu bringen, dass sie sich bewegte. Also lief ich mit. Ich sah immer etwas „Spannendes“ in einer Ecke des Platzes, dass ich mir unbedingt ansehen musste und neugierig wie sie war, ging auch sie „nachschauen“. Schnell war der Dreh raus. Hinterherlaufen war angesagt. Ich joggte (= sie musste langsam traben) um den Platz, lief Zirkel, lief Volten, lief alle möglichen Bahnfiguren und sie würde immer so hinter mir herlaufen, dass ihr Kopf höchstens auf meiner Höhe war. 
Ich sensibilisierte sie ganz neu. Wo sie anfangs bei starkem Schenkeldruck keine Reaktion gezeigt hatte bzw. explosiv in die Luft gegangen war, wurde jetzt vorsichtige „Handberührung“ eingeführt. Die flache Hand an der linken Pferdeseite angelehnt bedeutete, sie sollte sich nach rechts bewegen. Das gleiche auch umgekehrt. Eine Fingerspitze auf der Brust hieß Rückwärtsgang. Ein Zungenschnalzen bedeutete, die Geschwindigkeit zu erhöhen. Wir „tobten“ über den Platz. Richtungswechsel, Vorwärts, Rückwärts, Seitwärts, Stehenbleiben. 
Wenn ich jetzt zu ihr kam, wieherte sie schon von weitem, weil sie meine Stimme erkannte. Wenn ich sie auf den Platz stellte, wollte sie gar nicht alleine herumlaufen, sondern stupste mich auffordernd an. (Einmal fast vom Zaun runter, weil ich eigentlich nur dasitzen und ihr zuschauen wollte). Sobald ich auf dem Platz war, stand sie hinter mir, legte mir teilweise die Schnauze auf die Schulter und wartete ab, wie das Spiel heute laufen würde.


Reiten


Irgendwann hieß es dann, sie könne wieder geritten werden. Für unsere Beziehung bedeutete das ein Rückschritt. Trense wieder drauf, Sattel drauf, in die Steigbügel schlüpfen und ihr sagen, wo es langging. Zwar ging sie mir nicht mehr durch, aber ich hatte das ekelhafte Gefühl, wieder zurück an dem Punkt zu sein, den ich an Reitschulen aufgegeben hatte. Das Pferd „funktionierte“, mehr aber auch nicht.
Anstatt mich allzu sehr auf Lektionen zu konzentrieren, erkundigten wir erst mal das Gelände. Ich wollte mein und ihr Vertrauen in sie stärken. Wir kletterten – für Pferde - steile Hügel hinauf und hinab. Wir durchquerten leere, sandige Flussbette. Wir schlängelten uns durch die Bäume im Wald. Ich schloss die Augen und ließ sie den Weg finden. Sie ließ zu, dass ich das Tempo regulierte und die ungefähre Richtung vorgab. Es ging immer besser, aber etwas fehlte.
Dann zerstörte sie ihre Trense. Anruf der Besitzerin, keine Trense, kein Reiten. Ich fragte mich, warum eigentlich? Idee im Kopf und schnell in die Tat umgesetzt. Erst mal nur auf dem Reitplatz. Halfter statt Trense, Hundeleine statt Zügel. Und da kam es uns zu Gute, dass wir auf einer so sensiblen Ebene geübt hatten. Ich merkte, wir brauchen die Trense gar nicht. Kopf- und Körperhaltung konnte ja sogar schon vom Boden aus „eingestellt“ werden. Ich brauchte nicht mehr, als kleine Erinnerungen. Alles lief nun über meine Körperbewegungen. Leichter Schenkeldruck und das Gewicht in eine Richtung lehnen zeigte, was sie tun sollte. Sie lief alles wie vorher – nur besser. Weil ich eine Ecke aufmerksamer war. Weil sie auf die leichteren Hilfen noch schneller reagierte. Wir hatten unser Spiel zurück- nur diesmal saß ich AUF dem Pferd.
So gingen wir ins Gelände. Hin und wieder auch ohne Sattel. Auf dem Platz ritt ich sie manchmal auch „ganz ohne alles“. Natürlich mussten da die Erinnerungen öfters erfolgen. (Nein, Süße, du rennst nicht mit erhobenem Kopf durch die Gegend). Aber es klappte. Auch alle Bahnfiguren. Einzig und allein durch körpereigene Gewichtsverlagerungen. 
Von da an lief sie bei mir nur noch mit Halfter. Da alles so gut klappte, fehlte nur noch das i-Tüpfelchen. Ich war so gerne bei Shannon, aber mein Hund ist nun einmal der Wichtigste und der war anfangs nicht dabei gewesen. Durch die Spaziergänge kannten sie sich schon. Jetzt trainierte ich, dass Samu sie als Teil des Rudels akzeptierte und Shannon ihn als Teil der Herde. Es klappte. Wir waren von da an also immer zu dritt unterwegs. Faszinierend, wie sogar die beiden unterschiedlichen Tierarten miteinander kommunizierten, sich abstimmten, darauf achteten, wann der jeweils andere unruhig wurde oder etwas Interessantes entdeckte.


Träume



Ihr müsst euch die „Welt“ dort hinterm Reiterhof ganz anders vorstellen als in Deutschland. Wir verließen die Koppel und waren im „Nichts“. Endlose Weiten, von Herbst bis Frühling grün, im Sommer staubtrocken. Sandiger Boden, Äste wehten über den Weg, Flussbetten waren ausgetrocknet, über uns kreisten die Greifvögel. Es war Winnetou live. Durch Shannon hatte ich die Möglichkeit ganz nah an die „wild lebenden Pferde“ heranzukommen. Diese leben dort komplett frei und nur die Jungpferde werden einmal im Jahr „rausgefangen“. Wir konnten sie beobachten, nah genug, um alles zu sehen, aber doch immer auf sicheren Abstand, damit sie Shannon nicht als Eindringling empfanden. Einmal musste ich den Atem anhalten, als Samu und ein junges Pferd sich Auge in Auge ansahen, sie verharrten in dieser Stellung sehr lange. Wie gerne hätte ich gewusst, was da in diesen beiden Geschöpfen vor sich ging.
Shannon machte eigentlich immer, was ich ihr vorschlug – wenn sie konnte. Sie war dazu fähig „intelligente Gehorsamkeitsverweigerung“ einzusetzen. Wenn ich sie an einer Stelle den Hügel hinablenkte, die sie als „falsch“ empfand, dann ging sie dort nicht runter. Sie würde eine bessere Stelle finden und ich konnte ihr vertrauen. Woher sollte ich auch wissen, welcher Weg für Pferdebeine der Leichteste ist?
Samu übernahm den Job des Beschützers. Wenn etwas „komisch“ war, stand er sofort mit aufgestellten Nackenhaaren vor uns. Er passte immer auf.
Wir waren manchmal am Wochenende einen ganzen Tag unterwegs. Mit Proviant würden wir aufbrechen, irgendwo anhalten, ich würde mich auf eine Decke legen, Shannon grasen und Samu die Gegend abschnüffeln. Wenn ich die beiden rief, waren sie sofort zur Stelle. Samu war immer mit der ewigen Begeisterung eines Abenteurers dabei, der die Wildnis durchstreifen möchte. Und Shannon? Sie konnte es manchmal gar nicht abwarten, dass ich endlich wieder auf ihrem Rücken saß. Ich war ihr zu Fuß meist nämlich viel zu langsam. Sobald ich oben war, war sie ganz „bei mir“, wartete gespannt auf Worte, Berührungen, Zeichen, um dies sofort in die Tat umzusetzen. Wir drei verstanden uns blind. Samu und Shannon liebten es, sich zu messen. Keiner wollte langsamer sein. Meist ließ Shannon dem Jungen aber am Ende den Vortritt. 
Vielleicht war es leichtsinnig. Ich hatte kein Handy dabei. Ich trug keinen Reithelm. Die Hundeleine war die Zügel. Von oben hätte ich Samurai nie angeleint bekommen. Es hätte so viel passieren können. Ist es aber nicht. Vermutlich habe ich einfach verdammt viel Glück gehabt…
Ich bin nur einmal von Shannon gefallen und das auch nur, weil ich in Gedanken bei einer Klassenarbeit war, mich überhaupt nicht aufs Reiten konzentriert hatte und mich im Galopp weit nach vorne gelegt hatte. In meinem Kopf ging es gerade aus, in Shannons ging es den „gewohnten Weg Nachhause“ und weil ich so wie totes Gewicht auf ihr saß bog sie ab und ich plumpste zur Seite. Ziemlich dämlich. Sofort waren Hund und Pferd bei mir und glubschten mich von oben herab an. „Was machst du denn da unten?“
Es gab auch gefährliche Situationen. Z.B. als ein Mann urplötzlich einen Greifvogel aus seinem Auto holte, der mit seinem Kreischen und Flügelschlagen Shannon in Panik versetzt hat. Oder als wir in ein Herbstgewitter gerieten, es überall blitzte und schüttete und die Bäume gerne umgefallen wären. Oder als sich ein Andalusierhengst losriss und uns verfolgte, mit dem Ziel, auf Shannon zu decken. Hätten wir nicht diese besondere Beziehung gehabt, hätte ich sie in solchen Situationen nie ruhig und „kontrolliert“ halten können.

Wir suchten immer Herausforderungen. Sobald ein Spiel zu „bekannt“ war, mussten wir es auffrischen. Von meinem Reitunterricht waren nur kümmerliche Kenntnisse vorhanden. Ich kannte die „höheren Lektionen“ der Dressur nur aus dem Fernsehen. Also probierten wir es einfach. Schulterherein, Renvers, Travers, Traversale, Passage, Schrittpirouette. Würde man mich auf ein gut ausgebildetes Pferd setzen, dass diese Dinge beherrscht, ich wäre nicht in der Lage, sie „abzurufen“. Weil ich nicht weiß, wie man sie den Tieren normalerweise beibringt. Wir haben herumprobiert, ich wusste, wann sie wie reagiert und wir haben alles recht ordentlich hinbekommen. Natürlich nie auf einem hohen Niveau, aber das haben wir auch gar nicht angestrebt. Hätten wir es gewollt, hätten wir es geschafft, glaube ich. Denn der Glaube ans „Schaffen“ war es, der uns so weit gebracht hat.
Einer, der auf dem Hof immer ca. 10 Pura Raza Espanola Hengste zur Ausbildung hat und diese auch mit „voller Ausrüstung“ (d.h. Kandare, Sporen, Gerte, usw.) ritt, war einmal mit uns auf demselben Platz und meinte dann „Das macht ihr echt gut“ und das war…faszinierend zu hören, immerhin bildeten wir einen starken Unterschied und ich war eh schon „das irre deutsche Mädchen“, wie ich da mit dem Pferd herumspielte. 

Wir sprangen,  machten Trailaufgaben, beschäftigten uns mit Höhentraining... Aus einem kranken, untrainierten Pferd wurde eine Schönheit mit klasse Kondition. 
Ich wäre nie auf die Idee gekommen, etwas von ihr zu verlangen, auf das sie keine Lust hat. Ich arbeite immer mit den Talenten von Tieren und mit jedem Tier anders. Shannon legte die Grundbausteine für meine Einstellung im Tierheim, in dem ich nach der Zeit mit Shannon für zwei Jahre aushalf. Wäre ich bei diesen Hunden mit der „klassischen Erziehungsweise“ rangegangen, hätte ich überhaupt nichts erreicht. Jedes Tier ist so anders, jedes reagiert auf das gleiche Verhalten auf eine andere Art und Weise. Vor dem Training muss man es immer kennen lernen und einschätzen können.

ZeigteShannon beim „herumtollen“ wie schön sie seitwärts laufen und ihre Beine dabei bewegen kann, versuche ich das gleich ein paar Mal und dann von ihrem Rücken aus.
Natürlich gab es auch viel Blödsinn. Da lehnte sie z.B. gerne ihre Schnauze an meinen Kopf und blies dann richtig schön heiße Luft in mein Gesicht oder knabberte an meinen Haaren. Oder sie hatte ein Wegstück, wo der Sand besonders tief war und da konnte sie einfach nicht widerstehen und fragte jedes Mal an, ob sie denn nicht bitte hier wieder rennen dürfe. Oder ich benutzte sie als Lehne, überkreuzte die Beine und konnte mich so fünf Minuten an sie gelehnt ausruhen, bis sie mich frech anguckte und einen Schritt zur Seite machte, damit ich fast umkippte.
Dieses Pferd musste nicht arbeiten. Nie. Aber sie wollte es. Eigentlich immer. Ich war damals so glücklich, dass wir uns so gerne hatten, dass ich vermutlich auch mit Schrittspaziergängen zufrieden gewesen wäre. Aber da war sie, hochmotiviert und hat mir charmant gezeigt, wie viel mehr sie doch drauf hat.
Ich hab mich im Sommer mit ihr gemeinsam von oben bis unten abgespritzt und wir waren gleichzeitig wieder trocken. Ich habe ihr Spezialfutter angerührt, dessen Reste sie am liebsten an meiner Hose abgeschmiert hat. Sie hat mich gerne mit ihren Tasthaaren gekitzelt. Sie akzeptierte Individualabstand, indem ich nur einen Fuß leicht nach hinten austreckte – so nah darfst du kommen.
Ich könnte bis in alle Unendlichkeit von ihr schwärmen. Vielleicht war sie ein ganz besonderes Pferd. Für mich war sie es auf jeden Fall. Aber ich weiß, wie sie am Anfang gewesen ist. Geistig noch viel schlimmer dran als die meisten Schulpferde. Und sie hat eine Veränderung von 360 Grad durchgemacht. Ich konnte mich auf sie verlassen – weil sie sich auf mich verlassen konnte. Mein Umgang mit Pferden hat sich mindestens so sehr verändert wie sie. Von einem verunsicherten Mädchen, das eben „geritten ist“ wurde jemand, der dem Pferd ein vertrauenswürdiger Anführer war. Ich musste es mir erst verdienen - und wurde reich dafür belohnt.
Ihre Mimik, ihr Ohrenspiel, ihre Bewegungen waren so anders als früher. Plötzlich war sie das, an das man denkt, wenn man das Pferd mit „Freiheit“ in Verbindung bringt. Ein stolzes Tier, das sich auf einen einlässt, dessen Ohren und Augen immer bei einem sind, zugleich aber auch bei der ganzen Welt. In ihr steckte gewaltige Kraft, die ich mit einem Fingerzeig „dirigieren“ konnte. Weil sie es zuließ. 

Wir, Samu, Shannon und ich, waren ein unzertrennliches Trio. Wir gehörten zusammen und jeder andere war ein Eindringling. Wir waren immer alleine unterwegs und ich hatte auch nie das Bedürfnis, andere Reiter mit dabei zu haben. Ich hatte nie das Gefühl, irgendjemandem zeigen zu müssen, was wir konnten. Ich hatte wollte mir nie wieder von irgendjemandem sagen lassen, was das Richtige ist. Jahrelanger Reitunterricht hatte mich dazu gebracht, den Kindheitstraum vom „wilden Pferd“ gegen die Realität des „funktionierenden Pferdes“ einzutauschen. Nein, die konnten uns nicht belehren. Ich hatte kein Interesse uns auf Turnieren zu beweisen. Vermutlich hätten wir uns da eh nur blamiert, denn meine Nervosität hätte Shannon total verwirrt; unsere Dressur zeigte zwar die gleichen Lektionen, meine Bewegungen auf dem Pferd waren aber total anders…

Ich verabschiedete mich am Rande des Hofes von meiner Mum und ihrem Hund am liebsten mit etwas Theatralischen, wie Gandalf z.B.„Ich reite gen Osten“ oder im Indianerstil: „Wir sehen uns wieder, ehe die Trommeln verstummen“ oder „Noch bevor drei Tage ins Land gezogen sind, werden wir uns wieder sehen“. „Pass auf dich auf, Winnetou“ oder ein anderer Spaß war die Antwort. Und dann waren wir allein. Nein, nicht allein, wir waren mehr „zusammen“ als ich sonst je gewesen bin. Ich fühlte mich nie lebendiger als mit den beiden, mitten in der Natur. 
Keine Fotos, keine Videos. Das war unsere Welt, da dachten wir nicht an andere. 

Es war grausam, als ihre Besitzerin wegzog. Der Abschied hat viele Tränen gekostet und bis heute habe ich es nicht wirklich überwunden. Es tut weh, jemanden so gehen lassen zu müssen. 


I gotta get me back - I can't be beat and that's a fact
Don't judge a thing until you know what's inside it 
Dont' push me - I'll fight it 
Never gonna give in - never gonna give it up no 
If you can't catch a wave then your'e never gonna ride it


Ich bin Shannon unheimlich dankbar für diese wundervolle Zeit und dafür, dass sie mir die Augen geöffnet hat.
Jahrelang konnte ich mich nicht mehr so auf ein Pferd einlassen. Cheveyo hat jetzt die Chance, die Lücke in meinem Leben wieder zu schließen! 

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