Montag, 2. Juni 2014

Ein Schritt vor, drei Schritte zurück oder die Biomechanik von Pferden

Heute Morgen zeigte Chevrolet ganz eindeutig, dass er absolut k.o. ist. Muskelkater, müde, es ging gar nichts. Baby schläft gerne in der Früh noch ein wenig, wenn die Dicken draußen „Fresspause“ machen und er mit den jungen Buben allein im Stall ist. Er war so hundemüde, dass er mit dem Kopf in meinem Schoß eingeschlafen ist, sich irgendwann auf die Seite hat legen lassen und dann im Traum „gezuckt“ hat. Sowas bin ich eigentlich nur von Hunden gewohnt.





Ich denke, für ihn muss alles einfach nooooch langsamer gehen. Ich werde zurückschrauben auf einen kleinen Spaziergang, einen großen Spaziergang, dann ein „Ruhetag“ und es wieder von vorne losgehen zu lassen. Mehr packt er rein körperlich einfach noch nicht. Er ist wie ein überdimensionales Fohlen, das sich in der Welt erst mal zurechtfinden und die Beine sortieren muss. Warum jetzt schon Wert auf Biegungen und Longieren legen, wenn Geradeausgehen für ihn noch eine riesige Herausforderung darstellt? Auch werde ich das Grundtempo wieder auf nur Schritt verlegen. Über einen längeren Zeitraum fleißig Schritt zu gehen, ist schon anstrengend genug. Seine Hufen brauchen ja auch noch Zeit, sich an die unterschiedlichen – teils harten- Böden zu gewöhnen. Ein von Hufeisen auf Barhuf umgestelltes Pferd braucht ca. ein Jahr, bis der Huf einmal „durchgewachsen“ ist. Chevys Hufe werden dann auch noch viel steiler werden.

Seine muskuläre Entwicklung ist einfach für sein Alter echt unterdurchschnittlich. Vermutlich hat er sein Leben lang nur „gestanden“, aus erhöhtem Futterreservoir gefressen und wer weiß, vielleicht stand er sogar in Anbindehaltung. Im Stehen schläft er sogar mit dem Kopf nach oben und rausgedrücktem Unterhals. Fressen will er bei den Heuballen auch immer von „oben herab“.
Wenn man ihn denn dann mal geritten hat, dann nicht in Dehnungshaltung, sondern in hochgezogener Fake-Versammlung. Und so bewegt er sich halt auch jetzt noch.

Hier mal zwei Bilder zur Veranschaulichung:


Auf dem Ersten sieht man ein Pferd in Dehnungshaltung, es wölbt den Rücken und aktiviert somit die Nacken- und Rückenmuskulatur.
Das zweite Bild dagegen zeigt ein Pferd mit hochgerissenem Kopf und weggedrücktem Rücken.
Ganz so hoch zieht Chevy den Kopf nicht. Er läuft eher in Richtung "eingerollt", was aber genauso schädlich ist. 


Auch hier ist es interessant, sein Auge zu schulen, um die kleinen "Fehler" zu bemerken, die einen so großen Unterschied für die Gesundheit des Pferdes ausmachen! 


Muskelentwicklung braucht Zeit. Bis zu zwei Jahre sind für die Grundausbildung in der klassischen Reitkunst angesetzt. Sie dient lediglich der Kräftigung von Skelett, der Entwicklung des Vorwärts und zum Aufbau eines positiven Klimas der Zusammenarbeit mit dem Menschen. Takt, Losgelassenheit und Anlehnung können in dieser Zeit langsam erarbeitet werden.
Die Jungpferde müssen lernen, sich in Dehnungshaltung zu bewegen. Dabei wird das Nacken-Rücken-Band, die obere Verspannung, aktiviert, der Rücken wölbt sich und das Pferd entwickelt die richtigen Muskeln, um Reitergewicht tragen zu können.
Zu früh in Versammlung gezwungene Pferde werden zu „Schenkelgängern“. Dabei wird von vorne nach hinten gearbeitet, nicht wie man eigentlich will, dass der Schub von hinten nach vorne mündet und das Pferd sich „bergauf“ bewegt. Die relative Versammlung ist aber nicht möglich, wenn das Tier noch nicht die nötige Muskulatur dafür besitzt. Wie gesagt, im Regelfall dauert das um die zwei Jahre. Da Chevy aber nicht wie ein normales junges Pferd entwickelt ist, sondern Defizite aufweist bzw. „verritten“ wurde, setze ich da noch viel mehr Zeit für an.
Eigentlich sollten junge Pferde auch viel im Entlastungssitz gearbeitet werden.  Nach 15-30 Minuten kommt es öfters vor, dass die Remonten sich aus der Dehnungshaltung „befreien“ wollen. Das liegt nicht an „Austesten“ oder „Bockigkeit“, sondern schlicht und ergreifend daran, dass sie Ermüdungsschmerzen haben. Gewaltsam korrigieren zu wollen, Ausbinde- oder Hilfszügel anzuschnallen, bringt dann also überhaupt nichts! Besser absteigen und das Pferd eine Weile führen und sich entspannen lassen.
Es ist mir unbegreiflich, wie Vierjährige sich schon bei hohen Lektionen präsentieren sollen.
Das Gelände ist für die Ausbildung der Remonten unerlässlich. Das Klettern, bergauf, bergab und verschiedene Untergründe und Reize dienen der Kräftigung, der Beweglichkeit und Losgelassenheit. Auch Schwung lässt sich im Gelände leichter entwickeln, da die Pferde dort meist motivierter „vorwärts gehen“.
(Sinngemäß entnommen aus „Finger in der Wunde“ von Dr. med. vet. Gerd Heuschmann)

Fazit also? Wir sind weiter „unten“ als ein Fohlen. Chevyto darf jetzt erst mal viel futtern, Sozialkontakte pflegen, sich beim Grasen von selbst dehnen (aber der Herr muss ja alle paar Sekunden den Kopf hochreißen und die Umgebung scannen…), Spaziergänge machen und ja…in ein paar Monaten sehen wir dann weiter.

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