Montag, 19. Mai 2014

Sperriemen & andere Fragwürdigkeiten

Der Sperrriemen: hat er seinen Sinn verloren?

von Silke Schön 

Es begann damit, dass wir diesen Artikel von Michael Geitner zum Thema Sperrriemen gefunden haben:

Ich höre oft die landläufigen "Argumente" für die Benutzung des Sperrriemens (Kinnriemen) wie "Mein Pferd streckt sonst die Zunge raus" oder "Das Pferd sträubt sich sonst gegen die Trense". Die Fakten, die GEGEN den Einsatz des Sperrriemens sprechen, sind folgende (dazu kurz etwas zur Historie): der Erfinder des Englischen Kombinationshalfters hatte ursprünglich eine wirklich gute Idee. Die Schlaufe, die vorne am Nasenband angebracht ist, wurde komplett anders verwendet als heute. Es wurde der Riemen jeweils links und rechts durch das Gebiss, und zwar von innen nach außen, verschnallt. So konnte der Zug auf das Gebiss beschränkt werden und der Druck auf den Nasenrücken weiter gegeben werden.

Zudem fand der Sperrriemen Verwendung, die aus den Bedürfnissen des Militärs heraus entwickelt und angepasst wurden. Um bei Stürzen zu verhindern, dass sich die Pferde durch weit geöffnete Mäuler den Unterkiefer brachen, wurde ihnen der Unterkiefer mittels Sperrriemen zugeschnürt. Dadurch verringerten sich die Kieferbrüche der damaligen Pferde um 80%.

Wahrscheinlich seit den späten 70igern kommt dem Sperrriemen nun eine sehr unglückliche, zweckentfremdete Aufgabe zu, nämlich dem Pferd das Leben schwer zu machen. Was der Sperrriemen aber sehr deutlich einschränkt und zum Teil auch stark behindert, ist das Abschlucken des Speichels. Wenn nämlich sein Maul zugeschnürt wird, kann das Pferd nicht mehr durch das leichte Öffnen des Mauls den Druck des Trensengebisses auf den Gaumen abmildern. An der Stelle, an der das Trensengebiss gegen den Gaumen drückt, sitzen aber Nervenrezeptoren, die den Schluckreflex unterbinden und den Deckel des Kehlkopfes blockieren. Dadurch entsteht das Einspeicheln des Pferdes, was also in erster Linie ein Zeichen dafür ist, dass das Pferd seinen Speichel nicht abschluckt, aber noch lange kein Hinweis darauf, dass das Pferd korrekt "durch das Genick" geht.

Das kann jeder an sich selbst ausprobieren: Wenn man mit einem Löffel an den Gaumen drückt, dann kann man seinen Speichel nicht mehr abschlucken und es entsteht zudem ein Würgereiz.


Neben vielen anderen Funktionen bildet der Speichel einen natürlichen Schutz der Magenschleimhäute des Pferdes. Wir wissen heute, dass etwa die Hälfte aller Pferde im Freizeitsport und sogar 80% der Pferde im Leistungs- und Hochleistungssport unter Magenproblemen leiden. Denn der Speichel erfüllt neben dem rein mechanischen Abtransport des bereits im Maul zerkauten Nahrungsbreis aus der Maulhöhle in den Magen noch eine Reihe weiterer ganz wichtiger Funktionen. Im Speichel befinden sich wichtige Mineralien, vor allem Natriumbikarbonat, das als chemischer "Puffer" eine Übersäuerung des Magens verhindert. Fehlt nun dieser Speichel als Säurepuffer, kommt es schnell zu einer Übersäuerung des Magens. Ist die Magenschleimhaut zum Beispiel durch Stress an manchen Stellen dünner als normalerweise, führt eine Übersäuerung des Mageninhaltes an diesen Stellen zu einem Magengeschwür, da die Magensäure - übrigens fast reine Salzsäure - an diesen Stellen die "Schutzhülle" der Magenwände einfach wegfrisst. Dieses Problem ist NICHT zu unterschätzen, da eine Erkrankung des Magens das Pferd sehr unrittig machen kann, weil es durch Anspannung der Muskulatur immer wieder versucht, den schmerzenden Magen ruhig zu stellen, damit die Magensäure nicht so viel herumschwappt. [...].

Der nächste Punkt gegen den Einsatz des Sperrriemens ist dieeingeschränkte Freiheit des Kiefergelenks. Man hat festgestellt, dass, wenn das Kiefergelenk nicht richtig arbeitet bzw. festgeklemmt oder festgehalten wird, die Muskulatur des Kiefers Bewegungsstöße des Körpers, z.B. beim Laufen, nicht mehr abfedern kann. Wenn wir also einen Dauerlauf mit zusammengebissenen Zähnen laufen würden, dann würden wir uns derart die Wirbel der Wirbelsäule prellen, dass wir am Abend nicht mehr wüssten, wie wir uns überhaupt bewegen sollen. Die Pferde müssen das tagaus, tagein erleiden, und die Praxis des Sperrriemens kann Gelenkschäden bis hinunter zu den Fesselgelenken zur Folge haben. Man sagt daher: Das Kiefergelenk ist der erste Halswirbel. [...] Neben der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule ist die Kieferfreiheit zudem ganz wichtig für die Speichelproduktion, die vor allem durch die Ohrspeicheldrüse gesteuert wird. Ein festgezogener Sperrriemen verhindert die Kieferfreiheit und das Pferd kann nicht mehr kauen. Das ist aber eine Grundvoraussetzung, um Speichel zu produzieren und abfließen zu lassen. Dem Pferd steht keine ausreichende Menge an Speichel zur Verfügung und der vorhandene Speichel kann nicht abgeschluckt werden. Und das gerade in der stressigsten Zeit, im Training. Da brauchen die Pferde ihren Speichel nämlich am nötigsten.

Zudem verläuft genau an dem Punkt, wo der Sperrriemen sitzt, die Austrittsstelle (For. Mentale) eines empfindlichen Nervs, dem Nervus mentales, der für die Haut, Muskulatur, Schleimhaut der Unterlippe, sowie für das Kinn zuständig ist. Um es auf den Punkt zu bringen, formuliere ich das Problem des Sperrriemens folgendermaßen: Ich würde mir wünschen, dass die verschwendete Energie, die die Pferde aufbringen (müssen), um sich gegen den Sperrriemen zu wehren, als freie zusätzliche Energie für das zur Verfügung steht, was die Pferde leisten können. Wenn man die für den Kampf gegen den Sperrriemen eingesetzte Konzentration im Training zusätzlich zur Verfügung hätte, um sie für das Lernverhalten des Pferdes einzusetzen, dann wäre jeder, der von dieser Energie und Konzentration Gebrauch macht, gleich um Klassen besser, als derjenige Standard, den man sich mühsam gegen den Sperrriemen erkämpft hat.
Text: Michael Geitner

65% verlängerte Maulspalte
Eine der Wirkungen von Gebiss und Zäumung ist der Zug auf die Maulwinkel. Hier treten, wie oben berichtet, die meisten Beanstandungen auf. Wie Messungen gezeigt haben (u.a. Dullenkopf 2013), differiert die Länge der Maulspalte des Pferdes in verschiedenen «Situationen» erheblich. Die situationsbedingt unterschiedlichen Längen der Maulspalte in Verhältniszahlen sind: 


  • 100 Länge der «naturbelassenen» Maulspalte, Pferd nur mit Stallhalfter; 
  • 140 Länge der Maulspalte bei regelkonformer Zäumung mit doppelt gebrochener Trense und hingegebenen Zügeln; 
  • 165 Länge der Maulspalte bei regelkonformer Zäumung mit doppelt gebrochener Trense und aufgenommenen Zügeln.


Das bedeutet, die Maulspalte verlängert sich durch Auftrensen und Aufnehmen der Zügel um ca. 65 Prozent. 

Eigentlich liegt das Problem ganz woanders


Sperrriemen werden viel zu oft aus Unwissenheit benutzt. Der geschenkten Trense schaut man eben nicht ins Maul! Zu wenige Reiter hinterfragen, ob ihre Ausrüstung sinnvoll ist und dem Ausbildungsstand von Pferd und Reiter entspricht. Auch die korrekte Verschnallung wird eher durch die Stille Post weitergegeben als durch das Lesen der entsprechenden Vorschriften


Wie geht das nochmal? So viele Riemen, da blickt doch kein Mensch durch!
Bild: Andi Várkonyi / www.papermustang.eu
 


Der Sperrriemen wird auch eingesetzt, um mangelndes reiterliches Vermögen auszugleichen. Hier muss man zwar dem Reitschüler ankreiden, dass er nicht selbstständig denkt. Doch vor allem sind hier die Reitlehrer in Frage zu stellen, die es nicht leisten können oder wollen, dem Reitschüler vor oder nach der Stunde auch die korrekt sitzende Ausrüstung näher zu bringen. Oder Reitlehrer, die mit Desinteresse in der Hallenecke stehen und grobe Einwirkung im Maul nicht korrigieren. Der Reitschüler wird sich aus Unkenntnis und dem Gefühl, ertappt worden zu sein, immer rechtfertigen und keine berechtige Kritik zulassen, sollte man ihn auf eine falsch verschnallte Trense oder unruhige Hände ansprechen. Andreas Werft, kritischer Reitlehrer, legt großen Wert auf die "große Reitstunde": "Reiten lernen beinhaltet ebenso das Drumherum. Wie putze und sattle ich ein Pferd richtig? Was ist das für eine Zäumung und wieso setzen wir sie bei diesem Pferd ein? In der Praxis wird viel zu wenig theoretisches Wissen vermittelt, meistens aus Zeit- und Kostengründen. In einer Reitstunde, die 10 € kostet, muss ja irgendwo gespart werden!" 
(Und da wird nicht nur an theoretischem Wissen gespart, sondern auch an den Schulpferden - aber das soll ein eigenes Thema sein.)

Ist es also auch die große menschliche Schwäche, keine Kritik einstecken zu können? Auch sachliche Kritik und selbst solche, die dem Pferd eindeutig einen Nutzen bringt (und damit dem Reiter), wird abgeblockt. Aus Trotz, Wut oder Engstirnigkeit wird weiter gezogen und zugeschnürt. Der Leidtragende bei soviel menschlicher Fehlleistung ist hier nur das Pferd. Und auch dieses Problem fängt ganz woanders an. Aus Angst, aus der (reiterlichen) Gruppe ausgestoßen zu werden oder sich klein zu fühlen, aus Ehrgeiz und dem Drang, mittels Siegen und Lob das Selbstwertgefühl zu steigern hören Menschen nicht auf ihr Bauchgefühl. Die meisten nehmen -bewusst oder unbewusst- wahr, dass sich ihr Pferd (egal, ob eigenes oder geliehen) nicht wohlfühlt oder sogar Schmerzen hat. Es fehlt ihnen jedoch der Mut, NEIN zu sagen und für den Partner Pferd in die Bresche zu springen. Hier sind Eltern, Freunde und Reitlehrer gefragt! Wenn Tiere leiden, erst Recht in einem Sport, in dem sie die Grundlage für alles bilden, muss jemand einschreiten! Das ist moralisch und ethisch notwendig.

Zudem gibt es zu wenige medienwirksame Vorbilder. Das Auge hat sich gewöhnt an zugeschnürte Mäuler, blutige Pferde-Bäuche durch Sporen und natürlich an Rollkur bzw. Hyperflexion. Diese Methoden sind dennoch sehr in Frage zu stellen. Nur, weil es jeder macht, sieht und beibringt, ist es NICHT richtig! Pferde-Menschen, die einfach nach ihrem gesunden Menschenverstand und einer gesunden Einstellung zum Leben handeln, werden als Wald- und Wiesenreiter belächelt. Die Kurse bei den Horsemanship-Trainern sind dagegen immer gut gebucht, irgendwer muss den Gaul ja schließlich reparieren. Nur: wenn der Wille zur Einsicht und Änderung fehlt, werden die Pferde weiter leiden.


Weniger ist mehr, eindeutig! Wer so viele Hilfsmittel braucht, um ein Pferd zu reiten - der hat es nicht besser verstanden. Und den Reitlehrer sollte man auch nicht weiterempfehlen!
Bild: Andi Várkonyi / www.papermustang.eu
 


QUELLE: Hallo Pferd

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